hzol 2.Administrator
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| Thema: 1500 Meter lange Güterzüge Mi 2 Jan 2013 - 15:04 | |
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- Für die Zukunft hat die Deutsche Bahn 1500 Meter lange Güterzüge im Blick. Auf den ersten Blick wirkt es wie ein Wundermittel. Doch das verursacht aber erhebliche Schwierigkeiten.
Mit langen Güterzügen können Kosten gesenkt und Eisenbahnnetze besser ausgelastet werden. Doch in Deutschland wurde die Zuglänge im Regelbetrieb bisher auf 740 Meter begrenzt. Mit dem Fahrplanwechsel am 9. Dezember hat die Deutsche Bahn (DB) die Latte ein wenig höher gelegt: Zwischen Maschen bei Hamburg und dem dänischen Padborg verkehren nun bis zu sechsmal in der Woche Güterzüge mit 835 Meter Länge. Angesichts der komplexen Rahmenbedingungen brauchte die Bahn vier Jahre, um in mühevoller Kleinarbeit dafür die Voraussetzungen zu schaffen - nach jahrzehntelanger Diskussion darüber. Von einem „Meilenstein“ im deutschen Eisenbahnwesen, von einer „neuen Ära“, war denn auch die Rede, als sich der erste derartige Zug in Bewegung setzte. Für die Zukunft hat die Deutsche Bahn nun 1500 Meter lange Güterzüge im Blick. Mit einer Machbarkeitsstudie will sie nach eigenen Angaben bis 2015 die Grundlagen dafür untersuchen lassen.
Auf den ersten Blick wirkt es wie ein Wundermittel, um Engpässen auf dem Schienennetz zu begegnen und die Bahn im Wettbewerb zu stärken: Es werden ein paar Waggons mehr angehängt, und schon lassen sich Netz, Personal und Triebfahrzeuge effizienter nutzen. Studien der DB zeigen, dass längere Güterzüge im Vergleich zu anderen Optionen zur Steigerung der Transportkapazität unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten voraussichtlich die günstigste Möglichkeit ist. Doch der Teufel steckt im Detail. Die Leistung der Lokomotive ist dabei das kleinste Problem. Schwieriger sind vor allem der Umgang mit den im Zug wirkenden Längskräften, der Bremstechnik und der bisher durchgängig auf höchstens 740 Meter Zuglänge ausgerichteten Infrastruktur.
Auf einigen Hauptstrecken in Skandinavien ist der Verkehr mit 835-Meter-Zügen schon seit einigen Jahren erlaubt. Überlange Güterzüge aus Dänemark mussten an der Grenze geteilt werden. Jetzt wurde der Verkehr vom deutsch-dänischen Grenzbahnhof Padborg nach Süden bis zum nächsten großen Knotenpunkt, dem Rangierbahnhof Maschen bei Hamburg, verlängert. Für diesen 210 Kilometer langen Abschnitt war dies sogar ein deutlicher Fortschritt, denn er war bisher nur für 670 Meter lange Züge ausgelegt.
Etwa zehn Millionen Euro hat die DB Netz AG in den Ausbau investiert. Dafür wurden in fünf Bahnhöfen Ausweichgleise verlängert, Weichen reaktiviert oder neu eingebaut. Es wurden Achszählanlagen und Signale versetzt oder neu aufgestellt sowie die Stellwerks- und die Schalttechnik an 29 Bahnübergängen angepasst. Außerdem musste bei sehr vielen Einrichtungen, zum Beispiel Brücken, geprüft werden, ob sie von längeren Zügen benutzt werden können. Ein neuralgischer Punkt für höhere Lasten ist beispielsweise die Rendsburger Hochbrücke. Das in großer Höhe über den Nord-Ostsee-Kanal führende, filigrane Stahlbauwerk ist knapp 2,5 Kilometer lang und stammt von 1913.
Unter dem Strich musste die DB dem Eisenbahnbundesamt nachweisen, dass der Verkehr auf dem umgebauten Abschnitt mit den 835 Meter langen Güterzügen genauso sicher ist wie mit der bis dahin üblichen Zuglänge. Denn bisher orientierte sich das gesamte Regelwerk der Bahn an kürzeren Zügen. Veränderungen in den Vorschriften aber sorgen für viel Arbeit: Der Nachweis hat einen Umfang von etwa 700 Seiten und wurde von 49 Verantwortlichen aus 35 Fachbereichen unterschrieben.
Viele Schwierigkeiten erschließen sich nur beim genauen Betrachten. So strecken sich konventionell mit Schraubenkupplungen verbundene Züge nach einem Halt wieder, weil sich die beim Bremsen zusammengedrückten Pufferfedern zwischen den Waggons wieder entspannen. Damit rollen die letzten Wagen eines Zuges nach dem Halt manchmal um mehrere Meter in die entgegengesetzte Fahrtrichtung. Deshalb wurde im alten Regelwerk eine Streckschutzlänge von immerhin zehn Metern vorgeschrieben, damit auch der letzte Wagen eines gebremsten Zugs auf keinen Fall in ein benachbartes Gleis ragt. Trotzdem verzichtete die Bahn aber nach eigenen Angaben bei den nun eingesetzten längeren Zügen auf eine größere Streckschutzlänge, weil sie sich bei der vorhandenen Infrastruktur zwischen Padborg und Maschen nicht mit vertretbarem Aufwand hätte umsetzen lassen. Kompensiert wurde sie über eine Höchstzahl der Fahrzeuge: Wie bisherige Güterzüge dürfen auch die 835-Meter-Züge nur aus maximal 82 Waggons und zwei Triebfahrzeugen bestehen. Denn die Strecklänge ist zwar auch von Zugmasse und Streckenneigung, vor allem aber von der Anzahl der Kupplungsstellen abhängig. In der Praxis spielt diese Beschränkung ohnehin kaum eine Rolle, weil die Bahn nur selten lange Güterzüge mit vielen kurzen Waggons einsetzt.
Nun will die DB Erfahrungen mit den 835-Meter-Zügen sammeln, sieht auch für die feste Fehmarnbeltquerung als Teil der Strecke von Hamburg über Lübeck nach Dänemark entsprechende Güterzüge vor. Allerdings soll sie erst 2021 in Betrieb gehen. Schon 2008 fuhr die Bahn versuchsweise Züge mit 1000 Meter Länge auf einer nur für den Güterverkehr zugelassenen Strecke zwischen den Rangierbahnhöfen Kijfhoek bei Rotterdam und Oberhausen. Doch bei „nur“ 1000 Metern halten sich die wirtschaftlichen Vorteile in Grenzen, die Schwierigkeiten aber nehmen zu. Deshalb bereitet die DB den großen Wurf vor und will den Einsatz von 1500 Meter langen Güterzügen auf wenigen Relationen prüfen. Prädestiniert dafür sind die Langstrecken im Seehafen-Hinterlandverkehr: der Rheinkorridor zwischen Rotterdam, Emmerich und Basel sowie der Nord-Süd-Korridor zwischen Hamburg, Fulda und Würzburg beziehungsweise der Abzweig zwischen Fulda und Mannheim Richtung Basel.
Doch die neue Dimension sorgt zusätzlich für erhebliche Schwierigkeiten beim Bremsen und Beschleunigen der Züge. In längeren Zügen gibt es auch deutlich längere Durchschlagszeiten bei der Bremse. Denn der auf der Lok ausgelöste Bremsimpuls, das Öffnen der Hauptluftleitung, kommt nur mit deutlicher Verzögerung im Bremszylinder des letzten Waggons an. Bei langen Zügen bedeutet die lange Durchschlagszeit, dass der vordere Teil des Zugs schon gebremst wird, während von hinten ein zeitweise noch ungebremster Zugteil drückt. Diese Längsdruckkräfte gilt es zu beherrschen. Kritisch ist der Effekt vor allem in Kurven, wenn die für einen Augenblick noch ungebremsten Waggons wegen der Zentrifugalkraft auch nach außen drücken. Zumindest aber verzögert sich bei längeren Zügen das Bremsen und damit der Bremsweg. Da dieser auf deutschen Hauptstrecken normalerweise einheitlich 1000 Meter beträgt, muss die Bremskraft der einzelnen Waggons bei längeren Zügen entsprechend höher sein. Oder sie dürfen nicht mehr so schnell fahren, damit der Bremsweg sicher eingehalten werden kann.
Entscheidend für das Fortkommen von Zügen ist nicht nur die Leistung der Lokomotive - der Engpass bei schweren Zügen ist die Zughakenkraft. Bei den europäischen Bahnen werden nur relativ schwache Kupplungen verwendet. So ist die konventionelle Schraubenkupplung eines modernen Waggons für eine Zugkraft von höchstens 550 Kilonewton ausgelegt. Damit lassen sich im Flachland bis zu 4000 Tonnen schwere Züge ziehen. Die 835-Meter-Züge in Schleswig-Holstein dagegen dürfen nur 2300 Tonnen schwer sein (was in der Praxis auch regelmäßig erreicht wird). Denn die Züge müssen über die Rendsburger Hochbrücke fahren und damit quasi eine Gebirgsstrecke erklimmen: Die Brücke hat eine Steigung von bis zu zwölf Promille. Bei dieser Steigung lassen die Zughaken kein höheres Zuggewicht zu.
Ferngelenkt von der Frontlok
In Nordamerika und in Australien sind die im Eisenbahnverkehr verwendeten Kupplungen um ein Mehrfaches kräftiger, die Zughakenkraft ist entsprechend höher. Außerdem fahren die Güterzüge dort viel langsamer, haben längere Bremswege und meistens eigene Strecken für den Güterverkehr. Deshalb können hier regelmäßig Güterzüge von mehreren Kilometer Länge gefahren werden. Damit im deutschen System zumindest 1,5 Kilometer lange Züge zum Zug kommen, soll eine zweite Lok im Zugverband arbeiten und - ferngelenkt von der Frontlok - für den zweiten Teil des Zugs die Traktions- und Bremssteuerung übernehmen. Dafür aber muss noch eine Steuerung entwickelt werden.
Schließlich lassen sich Ressourcen überdies an anderen Stellen besser nutzen. So sei die Bahn auch bei der Ausnutzung der 740-Meter-Züge noch nicht am Ende, hebt Mirko Pahl, Vorstand der DB Schenker Rail Deutschland AG, hervor. Und in Ostdeutschland, auf dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Reichsbahn, seien bisher flächendeckend ohnehin nur 600 Meter lange Güterzüge zugelassen, erklärt Thomas Rössler. Er ist Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Verkehrsclubs Deutschland (VCD) und Unternehmensberater in Hamburg. Doch statt viele Millionen Euro in neue Infrastruktur zu versenken, ist es aus seiner Sicht viel effizienter, die Geschwindigkeiten im Bahnverkehr zu harmonisieren. Im deutschen Schienennetz mit seinem Mischbetrieb lasse nämlich der ICE dem nur etwa halb so schnellen Güterzug kaum Platz. Wären ICE nur etwas langsamer, hätte der dazwischen eingefädelte Güterverkehr gleich viel mehr Raum im Netz. Leider werde diese Diskussion kaum geführt. FAZ mit Bildern |
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