hzol 2.Administrator
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| Thema: Die Fahrkarten bitte, Deutschland! So 8 Nov 2015 - 16:34 | |
| - Tobias Lickes schrieb:
- Erste Überraschung: Sie sitzt. Die erste Uniform meines Lebens passt erstaunlich gut. Anzughose, Jackett im berühmt-berüchtigten DB-Dunkelblau. Dazu: kaminrote DB-Krawatte mit 240 handgezählten DB-Logos darauf. DB-Weste (dunkelblau), DB-Hemd (hellblau). Und natürlich: mein Namensschild, matt-silber, seriös-unprätentiös. Kritisch beäuge ich mein Spiegelbild und teste zum ersten Mal den unvermeidlichen Satz: "Die Fahrkarten - bitte!?". Ab heute bin ich Schaffner. Für 7 Tage.
Wie auf dem Traumschiff, nur ohne Kapitän
10.44 Uhr: In Uniform und in Eile erreiche ich Gleis 8. Der "ICE-1025-zur-Weiterfahrt-nach-Frankfurt-am-Main-Hauptbahnhof" fährt pünktlich (!) ein. Mein Zug. Neben mir arbeiten noch sechs Menschen auf dem "weißen Zug". So nennen sie den ICE hier. Die Truppe besteht aus dem Zugchef, zwei Schaffnern (hier: Zugbegleiter), zwei Mitarbeitern für die Bordküche und einem Kellner für die erste Klasse. Heißt hier deshalb First-Class-Steward. Während ich noch versuche, mein eigenes Gepäck in dem schaukelnden Dienstabteil zu verstauen, begrüßt Zugchef Jan Anderle bereits die Fahrgäste mit einer Durchsage - zweisprachig und zum Dahinschmelzen: "Ladies and gentlemen ... welcome aboard ..." Tolles Timbre, detaillierte Informationen, kleiner Schlussgag. Wie auf dem Traumschiff, nur ohne den Kapitän. Obwohl, nicht ganz. Der Kapitän heißt hier Lokführer (was ich ein bisschen enttäuschend finde) und verschanzt sich meist wortkarg in seiner Lok.
Knallhartes Konfliktmanagement
Die Stürme in den Abteilen müssen die anderen durchstehen. "Ein Job mit Kundenkontakt" - für den Job des Zugbegleiters vielleicht der größte Euphemismus aller Zeiten. Hier geht's täglich um knallhartes Konfliktmanagement. Dazu diese Uniform: Sie verändert einen. Nicht nur durch die behauptete Eleganz des Polyesters - sondern auch in der Wirkung auf andere, das merke ich schnell. Ein Spagat zwischen Ehrfurcht und Wut, die die Blicke der Reisenden verraten. Die Stimmung in den Abteilen hängt dir vom ersten Tag in den Klamotten. Verbal, nonverbal, subtil, brutal. Und jetzt? Bin ich als Schaffner unterwegs in ganz Deutschland - und dabei nonstop in genau dieser Uniform.
Man mustert mich in meiner Uniform
10:48. Der Zug hat Bremen gerade verlassen. Fahrkartenkontrolle. In der ersten Klasse ist Melanie Bolte Zugbegleiterin. "Guten Tag, wir hatten Personalwechsel, bitte einmal die Fahrkarten", stanzt es freundlich aus ihr. Freundlich, aber bestimmt. Schönstes Bahnsprech. Man mustert mich in meiner Uniform, mal misstrauisch, mal missmutig. Manchmal auch beides gleichzeitig. Mit jeder Verspätung, mit jedem Aus- und Zwischenfall fällt das Barometer, wird der Ton rauer.
Manche überreichen mir stolz ihre Tickets. Andere bewusst beiläufig-gelangweilt. Es ist eindeutig: Wir stören. Seltsam. Eigentlich sind es doch die Zugbegleiter, die sich im Zug (an ihrem Arbeitsplatz!) wohlfühlen sollten. Stattdessen werden Melanie und ich von den Reisenden als lästige Personen behandelt. Wann gehen die endlich wieder?
"Das ist ja mal wieder typisch Deutsche Bahn"
Und da vorne sitzt sie. Der Albtraum jedes Schaffners: Die nette Oma von nebenan - allerdings ohne gültiges Ticket. Als ich ihres kontrollieren will, zischt sie: "Das ist ja mal wieder typisch Deutsche Bahn" - und zwar gerade noch so laut, dass es die umliegenden Fahrgäste problemlos hören können. Ein mieses Gefühl. Dabei sind wir doch im Recht! Die Fahrgäste um uns herum tun derweil so, als hätten sie nichts mitbekommen. Schauen gespielt desinteressiert aus dem Fenster oder mustern scheinbar gelangweilt ihre Armlehne. Dabei ist klar, sie wollen den Showdown. Jetzt. Wie werden wir reagieren? Wie werde ich reagieren?
Melanie bleibt ruhig, hört der älteren Dame geduldig zu, auch minutenlange Schimpftiraden über die Bahn im Allgemeinen und Schaffner in diesem Zug im Speziellen lässt sie klaglos über sich ergehen. "... und wenn Sie mich hier nicht kontrolliert hätten, dann wäre das gar nicht passiert!", fasst sie noch einmal die Situation zusammen. "Aber Sie haben für heute kein gültiges Ticket!", mische ich mich, eher kleinlaut, ein. Schaffnerleben.
Für Situationen wie diese hat sich der DB-Konzern eine Menge nebulöses Vokabular ausgedacht. Eine Sammlung von deeskalierenden Phrasen, die in solchen Gefahrsituationen - wie hier, im Falle der schwarzfahrenden älteren Dame - zum Einsatz kommen sollen. Melanie zaubert ein "Ich schreibe jetzt eine Fahrpreisnacherhebung für Sie!" aus der DB-Fibel. Klingt harmlos. Soll aber heißen: Jetzt droht eine saftige Geldstrafe.
Eine Uniform verändert dich
Wir retten uns auf den Gang zwischen den Waggons. Fahrgästen, die vorbeikommen, nicke ich - so hoffe ich zumindest - "professionell" zu. Eine Uniform verändert dich. Und sei es eine Schaffneruniform. Sie soll sagen: "Hier bin ich der Chef! Wir haben alles im Griff, hier gibt es nichts zu sehen." Gleichzeitig tippt, noch sichtlich mitgenommen von der Diskussion, Melanie auf ihrem Kontrollgerät die Fahrpreisnacherhebung. "Einhundertsiebenundfünfzig Euro fünfzig. Auf dem Gerät kann ich noch Angaben darüber machen, wie die Fahrgäste mir gegenüber so waren. Kooperativ, beleidigend, aggressiv, alkoholisiert, hilflos. Ich nehme - uneinsichtig."
Jede Schicht ein Lottospiel
Ich gebe es zu: Wie der DB-Konzern sich Kategorien für unbequeme Reisende zusammengezimmert hat, hatte auch ich vor meinen sieben Tagen bei der Bahn meine Kategorien für einige Schaffner: faul, lustlos, aggressiv. Inzwischen weiß ich: Es sind nicht nur die unzähligen ominösen "Störungen im Betriebsablauf", die jede Schicht zu einem Lottospiel machen, bei der man als Zugbegleiter eigentlich nur verlieren kann. Es ist der "Kundenkontakt" - ich würde es den Wahnsinn auf Schienen nennen - und die Uniform. Beides verändert, wie die Leute auf dich zugehen. Wie sie dich ansehen, mit dir sprechen - oder eben nicht mit dir sprechen. Obwohl in der Uniform natürlich Menschen stecken wie du und ich. Die halten für die Probleme her, für die sie eigentlich gar nicht verantwortlich sind. Und genau deswegen war ich nach sieben Tagen froh, die DB-Uniform wieder ausziehen zu können - und ganz bequem als anonymer Fahrgast in der meckernden Masse zu verschwinden.Wir retten uns auf den Gang zwischen den Waggons. Fahrgästen, die vorbeikommen, nicke ich - so hoffe ich zumindest - "professionell" zu. Eine Uniform verändert dich. Und sei es eine Schaffneruniform. Sie soll sagen: "Hier bin ich der Chef! Wir haben alles im Griff, hier gibt es nichts zu sehen." Gleichzeitig tippt, noch sichtlich mitgenommen von der Diskussion, Melanie auf ihrem Kontrollgerät die Fahrpreisnacherhebung. "Einhundertsiebenundfünfzig Euro fünfzig. Auf dem Gerät kann ich noch Angaben darüber machen, wie die Fahrgäste mir gegenüber so waren. Kooperativ, beleidigend, aggressiv, alkoholisiert, hilflos. Ich nehme - uneinsichtig."
Jede Schicht ein Lottospiel
Ich gebe es zu: Wie der DB-Konzern sich Kategorien für unbequeme Reisende zusammengezimmert hat, hatte auch ich vor meinen sieben Tagen bei der Bahn meine Kategorien für einige Schaffner: faul, lustlos, aggressiv. Inzwischen weiß ich: Es sind nicht nur die unzähligen ominösen "Störungen im Betriebsablauf", die jede Schicht zu einem Lottospiel machen, bei der man als Zugbegleiter eigentlich nur verlieren kann. Es ist der "Kundenkontakt" - ich würde es den Wahnsinn auf Schienen nennen - und die Uniform. Beides verändert, wie die Leute auf dich zugehen. Wie sie dich ansehen, mit dir sprechen - oder eben nicht mit dir sprechen. Obwohl in der Uniform natürlich Menschen stecken wie du und ich. Die halten für die Probleme her, für die sie eigentlich gar nicht verantwortlich sind. Und genau deswegen war ich nach sieben Tagen froh, die DB-Uniform wieder ausziehen zu können - und ganz bequem als anonymer Fahrgast in der meckernden Masse zu verschwinden. NDR |
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